Veranstaltungsbericht The Future Code 2020

Veranstaltungsbericht The Future Code 2020

Ein Mikrophon ohne Sprecher oder Publikum

Foto: Unsplash.com_Ilyass SEDDOUG

Am 23. und 24. Juni 2020 hat next Industry, das „Fachmagazin für digitale Transformation“ aus der bekannten Vogel Communications Group, zum zweiten Mal die Konferenz „The Future Code“ durchgeführt. Mitveranstalter war das industrial generation network. Anders als im Vorjahr handelte es sich aufgrund der aktuellen Einschränkungen um ein (fast) reines Digitalevent. Moderator Norbert Gierlich und Philipp Uhr, leitender Redakteur von next Industry, führten von Würzburg aus via Stream durch die Veranstaltung, während die meisten Referenten hinzugeschaltet wurden und das Publikum im Homeoffice oder Büro saß. In diesem Beitrag bekommen vor allem jene, die nicht teilnehmen konnten, einen kleinen Überblick über die Themen und Höhepunkte.

Das zweitätige Programm bestand aus Keynotes, Interviews, Paneldiskussionen und mehreren parallelen Masterclasses mit insgesamt 57 Referenten. Das digitale Format bot zudem die Möglichkeit, entweder während des Vortrages über ein Textfeld neben dem Stream oder im Anschluss in den zusätzlich eingerichteten Breakout-Rooms Fragen an die Referenten zu stellen, die anschließend im Live-Chat beantwortet wurden.

Nach kurzer Anmoderation folgte eine Eröffnungsrede durch Matthias Bauer, dem CEO der Vogel Communications Group. Auch Bauer fand das neue Format sichtlich spannend und betonte, dass Face-to-face-Veranstaltungen zwar nicht komplett ersetzbar seien, es aber gelte, eine praktikable Mischung aus digital und analog zu finden.

Direkt vor Ort war der erste Interviewpartner Prof. Dr. Dieter Wegener, Vice-President Corporate Technology bei der Siemens AG. Dieser sah auf die Frage nach der größten Auswirkung von Corona auf die Industrie die Digitalisierung. Diese werde nun tatsächlich gelebt und helfe nicht nur, die Krise zu bewältigen, sondern mache allgemein Prozesse effizienter. Siemens selbst beispielsweise habe derzeit weltweit 130.000 Mitarbeiter im Homeoffice. Sein Appell an die Politik lautete daher, Europa mit einer performanten Breitbandstruktur bzw. flächendeckendem 5G auszurüsten.

Als nächstes folgte der Transformation & Technology Experience Track, in dem Jens Fath (Associated Partner Strategic Lead [I]IOT TRANSFORMATION, MHP Management- und IT-Beratung GmbH) begann. Fath erklärte, dass bereits viele Unternehmen digitale Lösungen umsetzen würden, jedoch nur innerhalb der einzelnen Abteilungen. Er stellte daher einen holistischen Fahrplan vor, wie ganze Unternehmen den Schritt ins (I)IoT gehen könnten. Dr. Ralph Wirth (Head of Data Science Solutions, Schaeffler AG) vertrat in einem Vortrag eine ähnliche Position und plädierte dafür, IT- und Subject-matter-Spezialisten in Teams zusammenzubringen. Im Anschluss folgte ein Fireside Chat, an dem noch die beiden anderen Track-Referenten José Luis Carvallho (VP Digital Innovations EMEA, SAP) sowie Ulrike Meyer (Chief Information & Digital Officer, Willenbrock Fördertechnik) teilnahmen.

Nun begannen die ersten parallelen Masterclasses, die besonders tiefe Einblicke in ausgewählte Fachthemen bieten sollten. Die Zuschauer hatten die Wahl zwischen jeweils zwei dieser Deep Dive Sessions und konnten jederzeit bequem per Mausklick wechseln. So referierte unter anderem Prof. Dr. Karsten Machholz (Professor für Supply Chain Management & Strategie, FHWS Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt) über das Thema Blockchain („Just another buzzword?“). Nach dem obligatorischen Verweis auf Bitcoin und Co. erklärte er das zugrundeliegende Prinzip hinter der Blockchain und verdeutlichte deren Nutzen für die Industrie am Beispiel der Smart Contracts. Bemerkenswert hierbei war vor allem auch, dass es für die schlauen Vertragswerke noch keine spezifische Rechtsgrundlage gibt.

Am Nachmittag fand ein weiteres Highlight statt mit der Masterclass ProgressiveHCI (Human-Computer-Interaction). Prof. Dr. Nicholas Müller (Forschungsprofessur Sozioinformatik und gesellschaftliche Aspekte der Digitalisierung an der FHWS) führte durch drei laufende Forschungsprojekte seiner Masterstudenten. Leitend waren die Fragen, wie Menschen während der HCI reagieren, wie sich neue Methoden entwickeln lassen und welche ethischen Implikationen hierbei bestehen. Vorgestellt wurde etwa eine Mensch-Roboter-(Roboter-)Interaktion (mit einer Universitätsführung durch einen Telepräsenz- und einen Informationsroboter). Zudem erhielten die Masterclass-Teilnehmer Einblick in vibrotaktile Unterstützung bei der Emotionserkennung (Softwareerkennung von Gesichtsausdrücken und Weitergabe an einen Vibrationshandschuh) sowie in eine berührungsfreie nonverbale Steuerung (Rechts-links-Navigation über Sensoren, die EMG-Signale messen).

Auch am zweiten Tag wurde das Thema Robotik aufgegriffen. Prof. Dr. Tobias Kaupp (Forschungsprofessor Digitale Produktion und Robotik, FHWS) stellte einige gängige Arten und Anwendungen von Robotern vor. Hierzu gehören Industrieroboter, die in den Werkshallen immer öfter mit den Menschen kollaborieren, sodass beide Seiten ihre jeweiligen Stärken einsetzen können. Mobilroboter kommen beim autonomen Fahren ins Spiel und sind beispielsweise in der Intralogistik vertreten. Serviceroboter hingegen werden neben dem Pflegebereich auch in der Landwirtschaft eingesetzt oder, ganz aktuell, bei Messebesuchen, wenn Menschen zueinander Abstand halten sollten. Zuletzt kam Kaupp auf die Humanoiden Roboter zu sprechen, die bereits Fußball spielen.

Anschließend referierte Prof. Dr. Andreas Knie, Leiter der Forschungsgruppe Digitale Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung der TU Berlin, über die „Mobilität der Zukunft“. Diese sei zwar nicht ohne Corona-Rückblick diskutierbar, am Ende des Jahres würde das Verkehrsniveau aber trotz eingeschränkter Reisen und Arbeitswege lediglich 10–15 Prozent weniger als gewohnt betragen. Eine Lösung der bisherigen Verkehrsprobleme von Stau bis Umweltbelastung sei damit nicht in Sicht. Dies liege unter anderem daran, dass die deutschen Städte komplett auf das Auto als Fortbewegungsmittel abgestimmt seien. Hier könnte das autonome Fahren einschließlich gemeinschaftlich genutzter Mobile Abhilfe schaffen, wenn das Vertrauen in die Technologie wachse. Derzeit stünden PKW 98 Prozent der Zeit still und würden im Schnitt von kaum mehr als einer Person genutzt.

Fortgesetzt wurde das Thema in einem Fireside Chat, an dem auch Michael Hog, Group Vice President Vehicle, FEV Group GmbH, teilnahm. Dieser stellte SVEN, das Shared Vehicle Electric Native vor. Bei einer Ausstattung mit drei Sitzen könnten hiermit 95 Prozent aller Fahrten in Deutschland ersetzt werden. Als ökonomisch erweise sich ein solches Modell bzw. Carsharing allgemein für Städte ab etwa 100.000 Einwohnern. Prof. Dr. Knie betonte in der Gesprächsrunde, wie wichtig es außerdem sei, dass die Verkehrsmittel untereinander vernetzt würden, um je nach Situation oder Wegmarke einen einfachen Wechsel vom ÖVPN zum Auto zu ermöglichen. Bisher arbeite jedes Verkehrsmittel für sich.

Prof. Dr. Hannes Huttelmaier (Professor für Business Administration and Technical Sales, FHWS) zeigte in seiner Masterclass zur Customer Journey („Value Selling entlang der digitalen Customer Journey“) auf, welche Möglichkeiten die umfassende Digitalisierung im Marketing mit sich bringe. Grundsätzlich gebe es zwei Wege: Unternehmen können über die vorliegenden Daten möglichst früh ermitteln, wann ihre Kunden einen Bedarf haben, oder aber sie „erschaffen“ einen neuen Wert für die Kunden. Das heißt, die Firmen bewerben mittels Insight Selling eine Lösung, an die der einzelne Kunde noch gar nicht denkt. Eine Grundvoraussetzung ist hierbei die enge Verzahnung von Marketing, Vertrieb und Service, um dem Kunden etwas über das eigene Business erzählen zu können.

Einblicke in die Kommunikation zwischen Wirtschaft und Politik lieferte Sarna Röser im Interview. Röser ist Bundesvorsitzende des Verbandes Die jungen Unternehmer, zugleich aber auch Nachfolgerin in der Geschäftsführung der Zementrohr- und Betonwerke Karl Röser & Sohn GmbH sowie Startup-Gründerin von beamcoo. Unter anderem plädierte sie gegenüber der Politik für die Vermittlung vertiefter Wirtschaftskenntnisse in der Schule. Außerdem erzählte sie von der eigenen Erkenntnis, dass politische Entscheidungen „länger brauchen“ als wirtschaftliche im eigenen Unternehmen. Abgerundet wurde das Interview mit einem Lob des deutschen Mittelstandes als Sonder- und Erfolgsmodell, das besondere Flexibilität und Austausch ermögliche.

Die Besucher bzw. Zuschauer konnten während des zweitägigen Digitalevents viele versierte Vorträge besuchen, Fragen stellen und ihr Fachwissen vertiefen. Mittlerweile können die Vorträge auch on-demand auf https://www.industrial-generation.network/en/industry-days-june-2020 abgerufen werden – Voraussetzung ist allerdings eine Registrierung im industrial generation network. Der nächste The Future Code ist bereits für den 29./30. Juni 2021 in Würzburg geplant.